Beim Ankommen in der spanischen Provinz fällt ein deutlicher atmosphärischer Unterschied gegenüber Italien auf. In Italien beklagen sich alle lauthals über ihre Lebensumstände; in Spanien ist das viel weniger der Fall. In Italien wird im Gespräch mit den Leuten sehr schnell die heutige missliche Lage, sowie die Probleme des Landes thematisiert, wobei die ItalienerInnen bedeutungsvoll den Kopf über ihr eigenes Land schütteln.
Obwohl in Spanien die wirtschaftliche und soziale Lage nicht viel rosiger ist, scheint es hier ruhiger zu und her zu gehen. Hat es damit zu tun, dass ich mich hier in einer Provinzstadt befinde?
Ich vermute, dass der Unterschied teilweise darin besteht, dass sich Italien nicht mit dem abfinden kann, was es ist. Italien hat Jahre des Wohlstands erfahren, ist eine der Top-10 Industrienationen und war in den 80er Jahren gar auf dem Weg, Grossbritannien zu überholen. Danach kam die erneute Krise, und alles war wieder anders. Die SpanierInnen, scheint mir, haben sich solche Illusionen nie – oder nur sehr kurzfristig – gemacht und sind es eher gewöhnt, wirtschaftlich am Rande Europas zu stehen. Kurzum: Italien will mehr, viel mehr sein, als es aktuell ist; Spanien nicht unbedingt. Dazu kommen selbstverständlich viele weitere Faktoren, allen voran die katastrophale gegenwärtige politische Führung Italiens. Ich bin jedoch nicht überzeugt, dass sie je wirklich viel besser war als heute.
In Spanien hat die aktuelle Krise mit Katalonien den Nationalismus wahrscheinlich eher gestärkt. An den Fenstern und Balkonen sieht man einige nationale Fahnen – was ich in Rom nicht gesehen habe. Morgen findet in Madrid eine grosse Demo für die nationale Einheit statt.