Bevor ich mit Adelheid und Freunden in den Iran geflogen bin, waren die Erwartungen hoch. Verschiedene Freunde und Bekannte hatten schon fast einstimmig Loblieder über das Land gesungen. Unheimlich schön und vielfältig sei es, die Städte und die Denkmäler grossartig, die Leute ausserordentlich freundlich und interessiert, der Aufenthalt überall angenehm – eine Art Paradies auf Erden, von den Mullahs im Wesentlichen noch unberührt?
Diese persönlichen Eindrücke und Urteile waren sicherlich auch nicht «falsch», und trotzdem waren meine Erlebnisse während dreier Wochen in Iran anders. Die Reise war sehr interessant, die Begegnungen mit Iranerinnen und Iranern sehr spannend, aber «schön» war es in der islamischen Republik nicht immer und überall.

Dies war sicherlich auch die Folge einer gewissen Naivität meinerseits und einer oberflächlichen Vorbereitung. Bei einem nächsten Besuch wüsste ich wohl besser, was sich wirklich lohnt und was weniger interessant, bzw. schwieriger ist.
So mussten wir bereits in Teheran feststellen, dass für Touristen, die mit der lokalen Sprache (Farsi) nicht vertraut sind, das Leben nicht nur einfach ist. Schon die Bedeutung der Preise zu verstehen – man zahlt für ein Nachtessen zu fünft einige Millionen, für ein paar Nächte im Hostel 30 oder 40 Millionen… – ist kein leichtes Unterfangen; den Nachtzug zu buchen, einen Ausflug zu organisieren oder Tickets für den Bus zu bestellen, kann schnell sehr kompliziert werden.
Die meisten Leute, mit denen wir Kontakt hatten, waren tatsächlich sehr freundlich und aufgeschlossen: Einige Male wurden wir in Teheran von Leuten zu Hause eingeladen, was wir leider aus zeitlichen Gründen nicht annehmen konnten. Der Kontakt zu IranerInnen ist aber bei Weitem nicht immer so leicht, wie es andere Iran-Reisende besungen hatten. Die meisten kontaktfreudigen, sprachgewandten und freundlichen Einheimischen – meistens Männer – mit denen wir einen Austausch hatten, waren in Wirklichkeit VertreterInnen einer dünnen städtischen, westlich-orientierten Ober- und Mittelschicht, welche sich im eigenen Land eingesperrt fühlt und sehnlichst nach Beziehungen mit dem Ausland oder mit Leuten aus dem Westen lechzt. Oft hatten sie in Europa oder in den USA studiert oder dort gearbeitet und beherrschten aus diesem Grund eine westliche Sprache.
Das ist aber nicht unbedingt repräsentativ für die ganze iranische Bevölkerung. Mit den gewöhnlichen Leuten kamen wir nämlich gar nicht so leicht in Kontakt. Die Frauen und Männer machen oft einen sehr freundlichen Eindruck, die Freundlichkeit ist aber auch ihnen nicht angeboren. Das Lächeln des Ladenbesitzers im Bazar von Kashan fällt schnell in sich zusammen, wenn er merkt, dass wir eigentlich nichts kaufen wollen, und die Jungen die uns auf der Strasse «Hallo» zurufen haben zum Teil einen recht spöttischen Ausdruck im Gesicht. Mit den vielen schwarz verschleierten, auf den ersten Blick etwas grimmig aussehenden Frauen, kommen wir als Männer nicht einmal mit den Augen in Kontakt.
Ein weiteres Problem unserer Reise bestand wahrscheinlich darin, dass wir uns für die klassische touristische Route zu den grossen Städten des Landes entschieden haben. Diese führt von Teheran über Yazd, Shiraz, Isfahan und Kashan (in unserem Fall) in die Hauptstadt, bzw. zu deren Flughafen zurück. Das goldene Fünfeck, sozusagen.

Obwohl diese Städte mit grossartigen Denkmälern aufwarten können, fand ich sie im Endeffekt relativ ähnlich und insgesamt nicht besonders schön.
Die sogenannten «Sehenswürdigkeiten» sind im Wesentlichen prunkvolle Moscheen und Schreine, imposante Herrschaftspaläste und Mausoleen oder elegante Villen reicher Männer, oft mit anmutigen Gärten. Daneben sieht man oft trostlose, staubige, vom Verkehr überlastete Strassen, eintönige, würfelförmige Häuser, ärmliche Viertel, Läden, die oft ähnlich aussehen und die gleichen Produkte verkaufen.
Gewiss, auch das malerische Gewirr der Gässchen in Yazd oder der Bazar von Shiraz hatten etwas bezauberndes und interessantes, aber hinter die Fassaden sahen wir praktisch nicht.
Persönlich hatte ich nach der fünften Moschee genug vom religiösen Erbe. Die interessantere Frage, die ich mir stelle, ist aber, was wir mit dieser Form von Tourismus machen und was wir dabei von der Geschichte wirklich erfahren. Ausser den blendenden Zeugnissen einer mächtigen weltlichen oder geistlichen Oberschicht, die sich selbst grossartige Denkmäler erschaffen hat, sehen wir nämlich kaum etwas «Historisches».
Abbas I, ein wahrscheinlich genialer, wie autoritärer und kriegstreibender Herrscher aus dem frühen 17. Jahrhundert, hat praktisch das grossartige Isfahan, das wir heute kennen, erschaffen. Heute pilgern wir hin und staunen mit offenem Mund vor den Gebäuden, die er zur Imagepflege und Rechtfertigung seiner nicht milden Herrschaft hat erbauen lassen.
Mir kommen die berühmten Fragen eines arbeitenden Lesers von Bertold Brecht in den Sinn: «Wer baute das siebentorige Theben?», und so weiter… Ist das die Geschichte, die uns interessiert?
Es geht mir dabei nicht darum, ein paar klassenbewusstseinsreinigende Tränen über das Schicksal unbekannter und längst verstorbener Frauen und Männer aus den Unterschichten zu vergiessen, sondern darum, wie man/frau die Geschichte eines Landes begreifen und erfahren kann.
«Hatte das vielbesungene Byzanz/ Nur Paläste für seine Bewohner?» fragte Brecht. In Shiraz oder Isfahan könnte man meinen, dass es tatsächlich so war. Neben den grossen bekannten Denkmälern erleben wir in der Tat eine eher ärmliche, etwas staubige und einförmige Gesellschaft, die mir mit der Zeit etwas langweilig vorkam.

Die Politik der Mullahs, sowie die Sanktionen von Donald Trump haben natürlich das Ihre dazu beigetraten, den Iran zu isolieren und die Gesellschaft verarmen zu lassen – was weder das Wohlbefinden von Touristen noch von Einheimischen hebt.
Auch der religiöse Mantel über dem ganzen gesellschaftlichen Leben kann einem auf die Dauer aufs Gemüt drücken. Vergebens suchte ich bald nach Ablenkungen durch einen Aperitif – an Bier oder Campari-Orange ist natürlich gar nicht zu denken – nach einem lustigen Laden, einer lesbaren Zeitung oder einem Buch; das Essen war oft das Gleiche – viel Reis mit Kebab, chicken oder lamb zur Auswahl, Internet ist nur beschränkt zugänglich. Die jungen Leute sitzen viel herum, trinken Tee und wissen nicht so recht, was tun.
Sogar eine peppige Werbung wäre mir mit der Zeit willkommen gewesen. Es fällt nämlich auf, dass es in der Öffentlichkeit keine Frauendarstellung gibt. Was man zu sehen bekommt, neben den allgegenwärtigen Ayatollahs Komeyni und Kameney, sind ein paar ähnlich graue, alte und väterlich lächelnde Männer mit Bart oder Bilder von sogenannten Märtyrern, meist jungen Männern die im mörderischen Iran-Irak-Krieg gefallen sind. Auch nicht etwas, um dauerhaft die Stimmung aufzuhellen. Die Mullahs machen offenbar alles, um jede Form von Reiz aus dem öffentlichen Leben herauszuhalten.

Das soll keine kulturhistorische bzw. kulturimperialistische Kritik sein. Es waren subjektive Erlebnisse und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass andere Reisende das Land und seine EinwohnerInnen ganz anders erleben können. Für mich wirft diese Erfahrung auch Fragen über eine gute Form von Tourismus auf, ich werde diesbezüglich über die Bücher gehen.
Das tollste und interessanteste war schliesslich die Begegnung mit spannenden und freundlichen Leuten, allen voran mit unseren Freunden aus Isfahan und ihren Familien. Oder am Feuer am Rande der Wüste sitzen und mit den Leuten Musik machen, singen und tanzen. Da war die Freundlichkeit und die Freude am Austausch auch wirklich zu spüren.