Zwischenbilanz: Viva l’Italia

 

Seit zweieinhalb Monaten lebe ich nun in Italien. Bevor ich nach Rom fuhr, dachte ich, ich würde dank meinem Aufenthalt hier, das Land endlich besser verstehen lernen. Ich habe in dieser Zeit viel über Italien gelesen und gehört – über die Geschichte, die Wirtschaft, die Politik …. Ich habe italienische Romane und Zeitungen gelesen. Ich bin auch stundenlang durch Roms Strassen gelaufen. Ich bin im Land herumgereist, habe mit Leuten gesprochen, mit Adelheid diskutiert. Dabei habe ich nicht das Gefühl, dass ich wesentlich mehr verstanden habe als das, was ich bereits wusste.

Wahrscheinlich war mein Zugang auch nicht der erfolgversprechendste. Kann man überhaupt ein Land und seine Leute verstehen, wenn man darüber liest und diskutiert?

Vielleicht ist es schlicht zu schwierig. Und vielleicht muss man manchmal das, was man nicht versteht, einfach lieben. Den Mut haben, einfach zu lieben…. Weil lieben besser ist als hassen; und weil Liebe besser ist als Gleichgültigkeit.

Die Gleichgültigen und Mutlosen – gli ignavi – hat Dante in der Göttlichen Komödie in der Hölle platziert. Über sie lässt er Virgil sagen: «non ti curar di lor, ma guarda e passa» (kümmere dich nicht um sie, schau hin und gehe weiter).

Also nicht Hass, und auch nicht Gleichgültigkeit.

Francesco de Gregori hat in den 1980er Jahren eine interessante, berührende Hymne an Italien geschrieben: ‚Viva l’Italia‘. In diesem Lied versucht er mit poetischen Bildern die unglaublichen, schwer verständlichen Gegensätze dieses Landes zu fassen: Ein Land das halb Garten und halb Kerker ist – L’Italia metà giardino e metà galera. Ein Land, das schon damals im Herzen getroffen war, aber nicht stirbt: l’Italia derubata e colpita al cuore/ viva l’Italia, l’Italia che non muore

Ich finde das einen guten Ansatz zu einem zeitgemässen Patriotismus. Eine Heimatliebe, die nicht blind ist, die die Probleme und Schattenseiten nicht ausblendet, die uns nicht gegenüber andere aufbläst, die uns nicht als besser oder schlechter fühlen lässt. Die uns aber auch nicht gleichgültig lässt.

Das ist m.E. eine mögliche Antwort auf einem der Grundprobleme der Gegenwart: Wie können wir uns eine Verbundenheit mit unserem Land entwickeln und vertreten, ohne dass sie zu einem Überlegenheitsgefühl, zu Paternalismus oder gar zu Fremdenfeindlichkeit verkommt?

Und schliesslich: Warum kann man nur die eigene Heimat lieben? ( Ich besitze zwar die italienische Staatsbürgerschaft, meine mütterliche Familie stammt aus Norditalien, aber ich bin in der Schweiz aufgewachsen und sozialisiert.)

Wichtiger ist, überhaupt zu lieben (Dante nicht vergessen!), oder das lieben, womit man sich verbunden fühlt.

Eine Art emotionale Zwischenbilanz; vielleicht nicht sehr tiefsinnig für einen Historiker, aber – wie soll ich es sagen? Vielleicht leidenschaftlich.

In diesem Sinne:

Viva l’Italia. (https://www.youtube.com/watch?v=kMx2YGkKUqQ)

Viva l’Italia, L’Italia liberata
L’Italia del valzer, L’Italia del caffè
L’Italia derubata e colpita al cuore
Viva l’Italia, L’Italia che non muore.

Viva l’Italia presa a tradimento
L’Italia assassinata dai giornali e dal cemento
L’Italia con gli occhi asciutti nella notte scura
Viva l’Italia, L’Italia che non ha paura.

Viva l’Italia, L’Italia che è in mezzo al mare
L’Italia dimenticata e l’Italia da dimenticare
L’Italia metà giardino e metà galera
Viva l’Italia, L’Italia tutta intera.

Viva l’Italia, L’Italia che lavora
L’Italia che si dispera e l’Italia che s’innamora
L’Italia metà dovere e metà fortuna
Viva l’Italia, L’Italia sulla luna.

Viva l’Italia, L’Italia del 12 dicembre
L’Italia con le bandiere, L’Italia nuda come sempre
L’Italia con gli occhi aperti nella notte triste
Viva l’Italia, L’Italia che resiste.

 

Heimat?

05.10.18

 

Nach zwei Wochen, teils im «Ausland», kommen wir «heim» nach Rom. Es ist seltsam, wie sich das Gefühl von «daheim» verschiebt. Schon nach einer Woche Albanien fühlte sich die Rückkehr mit der Fähre nach Bari wie ein «heimkommen» an. Ist es wegen der Sprache? Oder weil wir – seit ein paar Jahren – auch die italienische Staatsbürgerschaft besitzen? Wegen des Cappuccinos in der Altstadt von Bari? Oder weil wir uns da wohl fühlen?

Offenbar ist das Heimatgefühl etwas Flexibles – darüber gab es in den letzten Jahren auch Einiges zu lesen, soviel ich weiss…

 

 

Strasse im Zentrum von Bari

 

 

 

L’Italie, l’Europe, la dette

29.09.18 – 4.10.18

Et voilà: sans surprise on en arrive au conflit entre l’Italie et l’Europe autour des règles budgétaires.

L’Italie est le pays avec la dette publique la plus élevée de tous les pays occidentaux, actuellement autour de 132% du PIL (2016). Cela signifie que les italien-ne-s doivent verser chaque année des sommes très conséquentes pour payer les intérêts passifs de l’Etat. Malgré cela Salvini, di Maio et leurs entourages continuent de faire de grandes promesses à leurs électeurs et électrices respectifs, avec le résultat de faire régulièrement monter le « spread », ou le taux d’intérêt par rapport à celui sur la dette allemande, ce qui coute des millions, voire des milliards en plus aux contribuables.

Mais qu’est-ce que cela signifie ? Il est intéressant de noter qu’une grande partie de la dette n’est pas très ancienne : elle remonte en réalité aux années 1980 – 2010. Cela signifie qu’une partie de la génération des « baby-boomers » c’est généreusement remplie les poches en ce concédant des cadeaux aux dépens de l’Etat : des cadeaux sous forme de travaux publics, d’emplois, de retraites, de subsides, de rentes, sans oublier les profits du crime organisé… sans trop se soucier du fait qu’à la fin quelqu’un devra payer la facture. On peut tourner la question comme on le veut, sur ce point les économistes libéraux ont tristement raison.

Chaque enfant qui nait aujourd’hui en Italie porte déjà sur son dos une dette de 35’000 Euros – la dette par personne est supérieure à celle de la Grèce : est-il surprenant que les italien-ne-s ne fassent presque plus d’enfants ? On le voit partout, sur les plages, dans les restaurants : ce sont les familles avec un enfant ou les couples sans enfants qui dominent la scène.

Naturellement, et comme toujours, tout le monde n’a pas profité : mais l’argent dépensé par l’Etat ne s’est pas dissout en l’air. Le taux d’épargne en Italie demeure très élevé.

https://www.rischiocalcolato.it/2014/10/secondo-il-credit-suisse-la-ricchezza-italiana-delle-famiglie-e-la-terza-al-mondo-forse-e-per-questo-che-il-belpaese-e-sotto-assedio-se-fosse-povero-non-succederebbe.html

Mais ceux et celles qui se sont enrichi-e-s appartiennent aux sphères qui font la politique ; donc le système est bloqué.

Le problème réel, en tout cas, ce n’est pas l’Europe, ni Maastricht : ce sont les « marchés financiers », qui menacent à chaque moment de retirer le peu de confiance qu’ils gardent envers l’Etat italien, en faisant monter ultérieurement les taux d’intérêts.

La question intéressante serait à savoir, qui se cache derrière ces fameux « marchés financiers ».

Albanien und Italien

27.09.18

Albanien ist vielleicht das letzte Land auf der Welt, in dem Italien einen guten Ruf geniesst. Italien ist hier ein bisschen wie der grosse Bruder: grösser, eben, reicher, technisch und gesellschaftlich weiter entwickelt.

Die Leute in Albanien sind freundlich und hilfsbereit. Auf dem Weg von Saranda nach Tirana hat uns ein jüngerer Mann in einem Restaurant die Getränke bezahlt. Ich weiss nicht warum; vielleicht aus Freude darüber, dass wir Albanien schön und interessant finden.

Rom im Oktober

 

Roma sotto la pioggia – das erste Mal so richtig nass, seit ich da bin.

 

Wenn man an Italien denkt, kommen einem zuerst die unzähligen Probleme in den Sinn – davon gibt es gewiss mehr als genug. Es gibt aber auch relativ unauffällige Dinge, die wir einfach als gegeben anschauen, die hier jedoch nicht selbstverständlich sind. Rom ist relativ sauber, der öffentliche Verkehr funktioniert, man kommt im alltäglichen Leben relativ gut durch – solang man es nicht direkt mit dem Staat und mit seiner Bürokratie zu tun hat.

Manchmal bricht zwar ein Kirchendach zusammen (August), oder ein Bus geht in Flammen auf (wie im Frühling in den Zeitungen zu lesen war), aber davon merke ich im Alltag nicht all zu viel.

Dies ist offenbar auch zahlreichen freiwilligen Organisationen zu verdanken, die Gratisarbeit leisten, um beispielsweise Velowege und Pärke sauber zu halten. Eine davon ist «Retake Roma», die heute in «La Repubblica» vorgestellt wird. «La città che resiste», titelt die Zeitung.

Ein wichtiges Zeichen für das Bestehen einer Zivilgesellschaft, denke ich.